Genetik Grundlagen-Informationen


GENial - was Sie unbedingt über Genetik wissen sollten

GENial #1 - Crashkurs Genetikersprache

In diesem Beitrag werden einige Grundbegriffe aus der Genetik erklärt. Und warum wir alle Mutanten sind.

Created with Sketch.

 

DNA:   
Unter DNA oder DNS (Desoxyribonucleinsäure) versteht man das Erbgut allgemein, es ist die chemische Bezeichnung für das „Speichermedium“ der Erbinformation. Vereinfacht gesagt ist sie ein langer Strang aus Nukleotidbausteinen, der sich im Kern aller (kernhaltigen) Körperzellen befindet. Wir bezeichnen die Bausteine vereinfacht als Basen oder Basenpaare (da die DNA als Doppelstrang vorliegt). Die Abfolge dieser Bausteine ist bei jedem Individuum unterschiedlich (außer bei eineiigen Zwillingen), man nennt sie auch Basensequenz. Insgesamt besteht die menschliche DNA aus 3 Milliarden Basenpaaren, wobei aber nur etwa 2% in Form von Genen für Eiweiße kodieren (siehe auch Absatz "Gene"). Darüber hinaus liegt das gesamte Erbgut in doppelter Kopie vor, eine stammt von der Mutter, die andere vom Vater. Insgesamt haben wir daher sogar 6 Milliarden Basenpaare.


Kaum zu glauben: In jedem Zellkern befinden sich ca. 2 m DNA. Würde man die DNA eines Menschen aus allen Zellen „ausrollen“, ergäbe sich eine Gesamtlänge von etwa 150 Milliarden km, das entspricht 1000 Mal dem Abstand Erde-Sonne!

                

RNA:     
Die RNA oder RNS (Ribonucleinsäure) ist ähnlich der DNA ein chemisches Speichermedium für Erbinformation und erfüllt wichtige Funktionen bei der Umsetzung des Erbguts in Eiweiße (als Matrize, Transportmedium, Enzym) und allgemein in der Erbgutregulation.

 

Gene:   
Gene sind Abschnitte der DNA, die entweder für Eiweiße (Proteine) kodieren, oder für RNAs. Wenn sie für Eiweiße kodieren, dann wird ebenfalls zuerst eine einzelsträngige RNA-„Abschrift“ des betreffenden Gens angefertigt (Transkription) und aus dem Zellkern in das Zytosol hinaustransportiert, wo dann das Protein hergestellt wird (Translation). Insgesamt hat der Mensch etwa 23.000 Gene. Alle Gene liegen in doppelter Kopie vor, einmal von der Mutter, einmal vom Vater vererbt. Es gibt also immer eine mütterliche und eine väterliche Kopie von einem Gen, wir sprechen in diesem Fall auch von Allelen. Außerdem kann man, je nachdem auf welchem Chromosom ein Gen liegt (siehe Abschnitt "Chromosomen"), autosomale Gene (nicht-geschlechtsgebundene) von X- und Y-chromosomalen (geschlechtsgebundenen) Genen unterscheiden.

 

Chromosomen:                

Die Chromosomen stellen eine Art Organisationseinheit der DNA dar, die es der Zelle erleichtert, das gesamte Erbgut bei der Zellteilung in die Tochterzellen aufzuteilen. Vereinfacht kann man sagen, dass die DNA als langer „Faden“ in Form von Chromosomen „aufgewickelt“ wird. Der menschliche Chromosomensatz besteht aus 46 Chromosomen, 23 stammen von der Mutter, 23 vom Vater. Zwei der Chromosomen sind die Geschlechtschromosomen X und Y, wobei Frauen 2 X-Chromosomen (unauffälliger weiblicher Chromosomensatz 46,XX), Männer ein X und ein Y-Chromosom haben (unauffälliger männlicher Chromosomensatz 46,XY). In den Keimzellen, also den Eizellen der Frauen und den Spermien der Männer ist jedes Chromosom und somit auch jedes Gen nur einzeln vorhanden. Nach der Befruchtung liegt dann wieder alles doppelt vor und das daraus entstehende Kind hat jeweils eine Kopie von einem Elternteil geerbt.

Mutation:
Mit Mutation meint man eine genetische Veränderung. Diese kann die Anzahl der Chromosomen betreffen (so genannte Genommutation oder numerische Chromosomenaberration), die Struktur von Chromosomen (so genannte Chromosomenmutation oder strukturelle Chromosomenaberration), oder auch einzelne Gene oder Genabschnitte bis hin zu einzelnen Basen (so genannte Genmutation). Weiters kann man unterscheiden, ob es sich um eine neu aufgetretene Veränderung (de novo) oder eine vererbte Veränderung (so genannte Keimbahnmutation) handelt. Es können auch nur einzelne Gewebe oder Zellen betroffen sein (als so genannte somatische Veränderungen, häufig z.B. in Tumoren). Eigentlich sagt der Begriff "Mutation" auch nichts darüber aus, ob eine Veränderung irgendwelche nachteiligen Auswirkungen hat oder nicht. Es ist ein neutraler Begriff in der Genetik, aber im allgemeinen Sprachgebrauch wird er vorzugsweise für krankheitsrelevante Veränderungen verwendet. In der Genetik bezeichnen wir krankheitsrelevante Veränderungen oder Mutationen als "pathogen" oder "wahrscheinlich pathogen", nicht relevante als "benigne" oder "wahrscheinlich benigne", und Veränderungen, die wir nicht beurteilen können als "unklar" oder "mit unklarer Signifikanz".

Gut zu wissen: Jeder von uns trägt zahlreiche genetische Veränderungen, also Mutationen. Auch neu aufgetretene, die wir nicht von den Eltern vererbt bekommen haben. Manche davon machen uns im Lauf des Lebens mehr oder weniger Probleme, andere bemerken wir gar nicht, und wieder andere führen erst bei unseren Kindern zu Auffälligkeiten. So gesehen sind wir alle "Mutanten".

GENial #2 - Mendel lässt grüßen

In diesem Beitrag werden die wichtigsten Erbgänge erklärt. Und warum Gene nichts "überspringen".

Created with Sketch.


Wichtig zum Verständnis der Erbgänge ist, dass wir das Erbgut in doppelter Ausführung bekommen, einmal von der Mutter, einmal vom Vater. Wenn sich Zellen teilen, dann bildet die DNA so genannte Chromosomen. Dabei kann man nicht-Geschlechtschromosomen (so genannte Autosomen) von Geschlechtschromosomen (X und Y) unterscheiden (siehe auch Infobox #1).
 

Bei den Erbgängen gibt es nun die Möglichkeit, dass die Vererbung autosomal (nicht-geschlechtsgebunden) oder geschlechtsgebunden (meist X-chromosomal, das Y-Chromosom spielt eine untergeordnete Rolle bei den Erbgängen) erfolgt, je nachdem auf welchem Chromosom das betreffende Gen liegt. Manche Merkmale oder Krankheiten treten bereits auf, wenn eine der beiden elterlichen Kopien eines Gens verändert ist. Diese Vererbung wird als dominant bezeichnet. Wenn beide elterlichen Kopien eines Gens verändert sein müssen, um zur Ausprägung eines Merkmals oder einer Krankheit zu führen, dann spricht man von einer rezessiven Vererbung. Dementsprechend kann man folgende Erbgänge unterscheiden:

Autosomal-dominanter Erbgang:
Beim autosomal-dominanten Erbgang wird ein Merkmal oder eine Erkrankung mit 50%iger Wahrscheinlichkeit geschlechtsunabhängig an die Nachkommen weitervererbt. Bei vollständiger Penetranz prägen alle Träger*innen einer genetischen Veränderung auch die entsprechenden Symptome aus. Aber es gibt auch zahlreiche autosomal-dominante Erkrankungen mit reduzierter Penetranz, wo nicht alle Träger*innen erkranken. Häufig beobachtet man außerdem eine variable Expressivität, was bedeutet, dass nicht alle gleich schwer erkranken, nicht einmal innerhalb derselben Familie. In diesen Fällen muss man zum Teil schon sehr genau hinsehen und nach "Mikrosymptomen" suchen. Trotzdem vererben alle Träger*innen die Veränderung mit 50%iger Wahrscheinlichkeit weiter.

Autosomal-rezessiver Erbgang:
Beim autosomal-rezessiven Erbgang müssen beide elterlichen Kopien eines bestimmten Gens eine Veränderung aufweisen, um zur Ausprägung eines Merkmals oder einer Erkrankung zu führen. Dementsprechend sind die Eltern in der Regel gesunde Anlageträger für eine Veränderung in diesem Gen. Wenn dann jeweils eine veränderte Genkopie von jedem Elternteil vererbt wird, führt dies zur Erkrankung beim Kind. Diese Wahrscheinlichkeit ist 25%, statistisch gesehen ist daher eines von 4 Kindern betroffen. Dieser Erbgang ist bei Verwandtschaftsehen besonders relevant, da Personen, die gemeinsame Vorfahren haben, häufiger die gleichen genetischen Veränderungen aufweisen.

X-chromosomaler Erbgang:

Beim X-chromosomalen Erbgang prägen sich relevante Veränderungen in erster Linie bei Männern aus, die Frauen sind so genannte Konduktorinnen und zeigen in der Regel keine oder nur sehr milde Symptome. Selten liegt eine X-chromosmal dominante Vererbung vor, wo die Frauen gleich schwer wie die Männer betroffen sind. Da Männer ihr X-Chromosom an alle Töchter weitervererben (die Söhne erben das Y-Chromosom), sind auch alle Töchter von betroffenen Männern Konduktorinnen. Frauen vererben das veränderte X-Chromosom mit 50%iger Wahrscheinlichkeit sowohl an Söhne als auch an Töchter weiter.

Gut zu wissen: Die weit verbreitete Annahme, dass Krankheiten oder Gene Generationen "überspringen" ist daher falsch. Es kann jedoch vorkommen, dass nicht jeder Träger / jede Trägerin einer Veränderung auch die entsprechenden Symptome ausprägt. Bei rezessiven Erkrankungen ist dies regelmäßig der Fall, aber auch bei dominanten kann eine reduzierte Penetranz oder variable Expressivität zu dieser falschen Annahme führen.


Y-chromosomaler Erbgang:
Die Y-chromosomale Vererbung spielt bei Erkrankungen keine große Rolle, da sich nur wenige krankheitsrelevante Gene am Y-Chromosom befinden. Theoretisch wären alle Männer einer Verwandtschaft betroffen. Ein Beispiel für eine klinische relevante Veränderung sind Mikrodeletionen in der AZF-Region, die zu Azoospermie führen. Da die betroffenen Männer aber in der Regel unfruchtbar sind, ist eine Weitergabe nur im Rahmen einer künstlichen Befruchtung denkbar.

GENial #3 - Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

In diesem Beitrag wird die humangenetische Stammbaumanalyse erklärt.

Created with Sketch.


 

Die Analyse der Eigen- und Familienanamnese gehört zu den Kernthemen einer genetischen Beratung. Dazu wird in der Regel ein Stammbaum über drei Generationen (also bis zu den Großeltern) erstellt und wichtige Informationen zu den jeweiligen Angehörigen ergänzt. Diese umfassen unter anderem das Geschlecht, das aktuelle Alter bzw. das Alter zum Todeszeitpunkt, Erkrankungen und das Alter bei der Erstdiagnose der Erkrankung.

Anhand dieser Informationen ist es möglich abzuschätzen, ob eine genetisch bedingte Erkrankung oder ein erblich bedingtes Tumorsyndrom in der Familie vorliegt. In weiterer Folge kann dann, sofern die molekulare Ursache für eine Erkrankung bekannt ist, auch eine genetische Abklärung angeboten werden. Der Ablauf und die sich aus einer solchen Testung ergebenden Konsequenzen werden Ihnen ebenfalls im Rahmen der Beratung genauer erklärt.

Gut zu wissen: Auch wenn (noch) keine molekulare Ursache für eine erbliche Erkrankung bekannt ist oder man trotz einer genetischen Untersuchung keine krankheitsassoziierte Veränderung in einer Familie nachweisen kann, ist es trotzdem oft möglich, auf Basis der in der Familie aufgetretenen Erkrankungen, ein für Sie angepasstes, individuelles Früherkennungsprogramm zu erstellen.


Es ist außerdem empfehlenswert, die genetische Testung bei betroffenen Angehörigen zu beginnen. Dies liegt daran, dass bei diesen Personen die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, eine potenziell vorhandene, krankheitsassoziierte Veränderung nachzuweisen. Außerdem ist es so in weiterer Folge auch möglich, gesunde Angehörige zu entlasten, wenn diese die konkrete Veränderung nicht geerbt haben.

Hier erfahren Sie mehr über die erforderlichen Inhalte und die Symbole, die bei der Stammbaumerstellung verwendet werden. So können Sie sich selbst an der Erstellung eines Stammbaumes versuchen.

Und falls Sie noch unsicher sind, ob Sie eine genetische Beratung in Anspruch nehmen sollten oder nicht, kann ich Ihnen die Durchführung eines FamilyChecks anbieten. 

GENial #4 - Das Kochbuch des Lebens

In diesem Beitrag wird die Funktion des Erbguts erklärt.

Created with Sketch.


 

 

Eine der schwierigsten Aufgaben bei Beratungsgesprächen ist die möglichst einfache und verständliche Vermittlung von komplexen Informationen. Ich bringe dazu gerne anschauliche Beispiele und eines ist, dass das Erbgut oder die DNA eine Art Kochbuch für die Zelle ist.

Man muss sich dazu vorstellen, dass unser Erbgut aus 3 Milliarden Bausteinen besteht, wovon nur ein sehr kleiner Teil tatsächlich für Eiweiße kodiert. Diesen Teil nennen wir auch die Gene, und man schätzt derzeit, dass es etwa 23.000 protein-kodierende Gene gibt.  Das sind in unserer Vorstellung 23.000 Kochrezepte, verteilt auf 23 Bücher (den Chromosomen), wobei zwischen den Rezepten und auch zwischen einzelnen Absätzen eines Rezeptes sehr viel anderer Text liegt, den wir noch nicht genau verstehen. Jede kernhaltige Zelle enthält diese Information in doppelter Kopie, einmal von der Mutter, einmal vom Vater vererbt. Doch nicht jede Zelle verwendet alle Kochrezepte und manche Rezepte können auch auf unterschiedliche Art verwendet werden. Genauso wie nicht jeder Koch alles kocht und unterschiedliche Köche dasselbe Gericht zum Teil anders zubereiten. 

Nun macht die Zelle etwas, das auch wir gerne tun: sie schreibt sich das Kochrezept, das sie gerade benötigt, aus den Kochbüchern zuerst ab (das ist die RNA) und transportiert diese Kopie aus dem Zellkern in das Zytoplasma (die „Küche“), wo das Eiweiß hergestellt wird. Zuvor muss sie noch die uns nicht gut verständliche überschüssige Information entfernen (das ist das Splicing). 

Genetische Veränderungen können nun beispielsweise einzelne Bausteine oder Aminosäuren betreffen, sodass es zu einem Austausch der Zutaten kommt. Das macht unter Umständen gar nichts, sofern das Endprodukt noch immer gut funktioniert. Solche Veränderungen machen auch einen großen Teil unserer Individualität aus, wobei es häufige und weniger häufige (so genannte SNP’s oder Single Nucleotide Polymorphismen) bis hin zu sehr seltenen und sogar einzigartige Varianten gibt. Je seltener so eine Variante ist, desto schwieriger ist für uns ihre Interpretation, und wir bezeichnen solche Varianten auch als „Varianten mit unklarer Signifikanz“. Denn der Austausch einer Zutat muss zwar keine gravierenden Folgen haben, er kann aber auch sehr problematisch sein. Stellen Sie sich vor, Sie würden bei einem Kuchenteig anstatt der Eier nur Wasser verwenden. Hingegen würde ein Austausch von Weizenmehl gegen Dinkelmehl vermutlich wenig ändern. Bei etwas häufigeren Varianten werden in Forschungslabors dazu funktionelle Tests entworfen, um genau diese Auswirkungen nachzuprüfen. Oder es gibt größere Studien, die einen ursächlichen Zusammenhang mit einer Erkrankung oder einem erhöhten Risiko belegen. Aber leider fehlen in vielen Fällen solche Untersuchungen. 


Veränderungen können aber auch ganz offensichtlich zu gravierenderen Fehlern führen, beispielsweise wenn vorzeitige Stopp-Signale eingefügt werden (also das Kochrezept plötzlich mittendrinnen aufhört) oder Teile des Gens fehlen. In diesem Fall darf davon ausgegangen werden, dass in der Regel eine Beeinträchtigung vorliegt und entweder kein oder ein sehr stark verändertes Eiweiß produziert wird. Schwerwiegend sind normalerweise auch Splicing-Fehler, da hier das Rezept an der falschen Stelle geschnitten wird, also Teile fehlen oder falsche Teile eingefügt werden. 

Die Beurteilung, ob eine konkrete Variante mit einer Erkrankung oder einem erhöhten Risiko assoziiert ist, ist häufig schwierig und sollte nur durch Fachleute erfolgen. Es gibt auch Erkrankungen, wo gravierende Veränderungen wie das Fehlen eines Genabschnittes nicht ursächlich sind, weil beispielsweise ein Aminosäurenaustausch, der zu einer Funktionssteigerung oder Funktionsänderung führt, vorliegen muss.